Welche Rolle spielen Pioniergeist und Brückenpersönlichkeiten in Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung? Eine große. Denn im Grunde sind es Einzelpersonen, die den Anfang machen. Das zu einem Wir erwachsen kann und damit die Veränderung bewirkt.
Teresa Conrad, PD – Berater der öffentlichen Hand GmbH, Berlin
Theresa Conrad, Managerin bei der PD – Berater der öffentlichen Hand GmbH, nahm uns mit auf eine Reise durch unsere Möglichkeiten des Aktiv-Werdens. Und begann zunächst mit dem Gegenteil: Damit, dass die Probleme so groß sind, dass sie vielen von uns oft den Schlaf rauben.
„Wollen wir uns nicht alle auf den Balkon setzen, einen Wein aufmachen und der Welt beim Untergang zugucken? Nun, auch wenn wir solche Momente haben und uns erlauben sollten, kommt es darauf an, dass trotzdem alle einen Beitrag leisten. Und Sie wären alle nicht hier, wenn Sie am liebsten auf dem Balkon säßen!“
Darum also sollte es gehen: Anstatt sich von den großen Herausforderungen unserer Zeit überwältigen zu lassen und paralysiert schlaflos im Bett zu liegen: Welchen Beitrag wir leisten können, ohne komplett auszubrennen. Also nicht nur die alte Frage: Was können wir tun? Sondern auch: Wie? Am Anfang steht, so betonte Theresa Conrad, sich nicht selbst überfordern. Der Auszug der Israeliten aus Ägypten habe 40 Jahre gedauert und ging alles andere als gradlinig. Nicht einmal waren alle Schritte auf diesem langen Weg in die richtige Richtung. Und doch waren sie wichtig, um dort anzukommen. Denn nur so konnte erkannt werden, dass es dort nicht lang ging. Sondern woanders. Theresa Conrad stellte erst bekannte, „laute Beispiele“ vor, um dann „leise Beispiele“ aus unserer Lebenswirklichkeit suchen zu lassen. Und letztlich das Tun von uns und anderen Einzelnen herauszuarbeiten für das Anstoßen und Vorantreiben von (kleinen und) großen Veränderungen und zu überlegen: Was heißt das für mich, was kann ich konkret tun?
Auch die ‚großen Beispiele‘ haben als einzelne Menschen keine Probleme vollständig gelöst. Aber sie haben einen Beitrag dazu geleistet, der etwas ins Rollen brachte. Doch wie lässt es sich kategorisieren, wie diese Leute es geschafft haben, ein komplexes Problem ein Stück weiterzubringen?
Spontane Held*in:
Handelt wertekonsistent & klarsichtig in kritischen Momenten, geht in die Verantwortung, statt sich ihr zu entziehen
Aktivist*in: konfrontiert mit unangenehmen Wahrheiten und mobilisiert, ist dadurch in der Lage, Bewegungen auszulösen
Moderator*in (oder auch: Brückenbauer*in): wirkt ausgleichend und kanalisiert widerstreitende Kräfte in eine gemeinsame Zukunft empathisch und versöhnlich
Vorbild: zeigt Mut, übernimmt Verantwortung und lebt ‚gutes/ richtiges Verhalten‘ vor gutes Vorangehen mit einer bis dato unüblichen Verhaltensweise
Visionär/*n /Vordenker*in: formuliert Unvorstellbares große Ambitionen als Kompass für zukünftiges Handeln
Normalisierer*in: durchbricht Tabus, normalisiert vermeintliche Marginalisierungskriterien
Selbst diese lauten Beispiele waren kein heldenhaftes Durchrauschen. Immer ist Konfrontation mit inbegriffen. Theresa Conrad verdeutlicht das am Kniefall von Willi Brand 1970 in Polen: Damaligen Umfragen zufolge fand selbst diese heute so unstrittig erscheinende Geste damals nur eine Minderheit der Deutschen als angemessen. Zudem, betonte Theresa Conrad, seien diese Kategorien nicht notwendigerweise vollständig (die Setzerin: Es fehlt die Vernetzer*in). Eine Teilnehmerin vermisste das alltägliche Tun im Job mit Blick auf das Vermeiden der drohenden Katastrophen als Beitragen zur Veränderung.
Anschließend an die ‚lauten Beispielen‘ wurden ‚leise Beispiele‘ aus dem eigenen Erleben gesucht, und darauf aufbauend in Kleingruppen überlegt: Was könnte ich tun? Was nicht? Was ist mein Raum der Möglichkeiten? Dafür wurde durch jede Rolle durchgegangen.
Von anderen wurden die Kategorien als Instrumentenkasten verstanden: Wie kann man die gesamte Klaviatur bespielen? Kann ich beispielsweise als Aktivist*in bewusst provokant sein, und danach als Moderator*in alles wieder zusammenführen?
Es gab aber auch Bedenken, die Rolle von Einzelnen überzubetonen „Am Ende ist es eine Systemfrage, was ich tun kann“, gab eine Teilnehmerin zu Bedenken und erhielt ebenfalls Zustimmung.
In der Kategorie Normalisierer fand sich ein Teilnehmer wieder und brachte dafür den Fachausdruck Framing ein. „Zum Beispiel, wenn ich als E-Auto-Fahrer sage: Ich fahr ein richtiges Auto, ihr fossilen Stinker.“ Das wurde ergänzt von anderen: „Wir fahren Bahn. Bitte, Du fliegst?“ Zusammen mit Aufklärung und Aktion könne auf diese Weise der Alltagsverstand Schritt für Schritt verschoben werden. In einer Kommune konnte so eine Wahlbeteiligung von über 70 Prozent erreicht werden.
Oft höre er, so ein anderer Teilnehmer, das bringe doch alles nichts. Das scheine für die Einzelaktion zu stimmen, aber auf Dauer bewirke es eben doch etwas. „Wir haben jahrelang gegen Atomkraft demonstriert und es ist nichts passiert; die Regierung hatte sogar die Laufzeit der Atomkraftwerke verlängert, und dann kam die Katastrophe von Fukushima. Da war in der Bevölkerung plötzlich überwiegend klar: Das machen wir nicht mehr mit.“ Dass es nicht einfach die Katastrophe war, welche die Veränderung bewirkte, zeige sich beispielsweise an der Katastrophe im Ahrtal, die keine entsprechenden Konsequenzen zeitigte.
Noch einige abschließende Tipps zum Bespielen der Kategorien-Klaviatur:
1. Wie bespiele ich diese Klaviatur? Was steht an?
2. Vielleicht taugen mir nicht alle Rollen. Ich muss nicht alles können.
3. In Bündnissen denken. Wen gibt es, der eine andere Funktion bereits erfüllt? Macht es nicht alleine! Heldenmythos ablegen! Wer handelt schon und wie kann ich den ergänzen?
4. Denken in Etappen. Dabei sich verändernde Rollen.
5. Durchhaltevermögen. Es braucht ein Weilchen, es ist meist ein Marathon, kein Sprint. Auch Rückschläge gehören dazu, auch Leute, die unflätig sind zu mir, ich mach trotzdem weiter!