Auf dem nachmittäglichen ‚Marktplatz rund um die Kaffeetheke‘ betreute Cléo Mieulet einen Platz, der für Sorgezentren warb: Orte, in denen sich Menschen der Pflege und Fürsorge widmen können. Dafür wird das Zurverfügungstellen von Leerständen gefordert.
Commons Institut: Cléo Mieulet, was sind Sorgezentren?
Cléo Mieulet: Sorgezentren haben das Ziel, Sorge bzw. Fürsorge (im englischen „Care“) zugänglich und gemeinschaftlich organisiert anzubieten. Sie legen Wert auf wohnortnahe Dienstleistungen, die sowohl private als auch gesellschaftliche Sorge in den Mittelpunkt stellen.
Commons Institut: Das heißt, derzeit seht ihr „Sorge“ an den gesellschaftlichen Rand gedrängt?
Cléo Mieulet: Ja. Derzeit wird im privaten Bereich die Sorge um Familienmitglieder häufig unbezahlt und überwiegend von Frauen übernommen. Auf gesellschaftlicher Ebene kritisieren wir die Profitorientierung in Gesundheits- und Pflegesystemen. Auch dies eine Form von Privatisierung, nämlich der Privatisierung von Gewinnen auf Kosten von Sorgebeziehungen. Beides stellt eine Individualisierung der Verantwortung dar, dies persönlich und/oder finanziell tragen zu können.
Commons Institut: Worauf zielt Ihr ab?
Cléo Mieulet: Die Kampagne strebt an, diese doppelt privatisierte Sorge zu demokratisieren und aus der Marktlogik herauszulösen. Wir sehen dies als doppelte Vergesellschaftung. Das Hauptziel der Sorgezentren besteht also darin, Pflege und Fürsorge aus der Logik der Privatisierung und Profitorientierung herauszuholen und sie in einen gemeinschaftlich organisierten Kontext zu überführen. Dies bedeutet, diese Dienstleistungen wohnortnah und demokratisch zu organisieren, wodurch sie auf vielfache Weise zugänglicher werden: lokal – oder, diesen Ausdruck mag ich sehr: in ‚Pantoffeldistanz‘ – sowie ohne finanzielle und behördliche Hürden. Dabei geht es auch um jene, die Sorgetätigkeiten ausüben. Damit sie einen Erholungsraum haben, damit Fürsorge auch für sie stattfindet. Das sind ganz oft Menschen, die in sehr schweren Mehrfachbelastungen stecken, also wenn sie zu Hause Angehörige pflegen müssen oder alleinerziehend sind, dann braucht es konkrete Infrastrukturen, die sie auffangen.
Commons Institut: Gibt es bereits ähnliche Ansätze?
Cléo Mieulet: Inspirationen für Sorgezentren kommen insbesondere aus dem spanischsprachigen Raum, wie Bolivien und Spanien. In Barcelona gibt es ‚Care Blocks‘, die wohnortnahe und leicht zugängliche Fürsorge ermöglichen. Solche Zentren bieten Unterstützung für Pflegebedürftige, aber auch Angebote für Pflegende. Darunter Trainingskurse, um Pflegekompetenzen zu verbreiten. Teilweise sind diese gezielt an Männer gerichtet, um ihre Rolle in Sorgetätigkeiten zu stärken und ihnen praktische Schulungen anzubieten. In Frankreich kenne ich ein kostenloses Café, wo Pflegende neben der Erholung gleichzeitig in einen Austausch miteinander treten können. Darüber hinaus kann eine Art Dating-App gegenseitige Unterstützung im Sorgebereich erleichtern. Wenn ich alleinerziehend bin, kann ich damit in meiner Umgebung Menschen finden, die mir Entlastung anbieten. Also die sagen: ‚Ich kann deine Kinder betreuen am Samstagabend, wo du doch so gerne ausgehen möchtest‘. Oder so. Das alles findet Platz im Sorgezentren.
Commons Institut: Warum heißt Eure Kampagne „Shoppingmalls zu Sorgezentren“?
Cléo Mieulet: Ein wichtiger Aspekt der Sorgezentren ist die Nutzung von leerstehenden Räumlichkeiten; insbesondere treten wir für die Verwendung von leerstehenden Einkaufszentren als Sorgezentren ein. Diese Orte sind Symbole des Scheiterns einer marktorientierten Versorgung und bieten gleichzeitig großes Potenzial für die Entwicklung demokratisch organisierter Strukturen zur Deckung unserer Grundbedürfnisse. Sie bieten Platz für neue, gemeinschaftlich orientierte Nutzungsmodelle.
Commons Institut: Und darum bist Du hier auf der Konferenz zu Lokaler Ökonomie & Commons?
Cléo Mieulet: Genau, Sorgezentren stellen eine Form demokratischer Selbstorganisation vor Ort dar. Die Menschen sind dabei nicht nur Empfänger von Dienstleistungen, sondern organisieren und leiten diese auch selbst. Dabei geht es darum, sowohl das soziale als auch das ökologische Sorgen in einer demokratisch organisierten Struktur zu adressieren. Das schließt Initiativen ein, die sich um lokale Klimaanpassungen oder Biodiversität kümmern. Und sei es, dass sie versuchen, Regenwassertonnen aufzustellen oder die Community Gärten betreiben oder Samentausch. Diese sollen ebenfalls in Sorgezentren Platz finden. Solchen Aktivitäten werden oft ehrenamtlich getragen und benötigen ebenfalls Raum und Ressourcen.
Commons Institut: Das heißt, ihr geht über das herkömmliche Konzept von Sorge hinaus?
Cléo Mieulet: Ja, und letztlich kann sich das Spektrum dessen, was als gesellschaftliche und ökologische Sorge gilt, im Miteinander noch erweitern. Sorgezentren dienen nicht nur dem Austausch und der Unterstützung, sondern auch der Selbstorganisation als Kampf für eine Transformation der gesellschaftlichen Sorge um Menschen und um die Mitwelt. Dabei braucht es Orte, wo wir voneinander lernen können. Wie gärtnere ich im städtischen Raum? Wie repariere ich etwas? Wie versorgen wir uns in unserem Stadtteil mit autarker Energie? Dieser beiden Stränge, Sorge für die Menschen und Sorge für den Planeten, gehen beide in dieselbe Richtung: sich aus den Zwangslogiken des Profits herauszuziehen und durch demokratische Selbstorganisation zu ersetzen.
Commons Institut: Vor welchen Herausforderungen steht ihr derzeit?
Cléo Mieulet: Trotz der klaren Ziele und vorhandenen Beispiele stehen Sorgezentren vor zahlreichen Herausforderungen. Eine davon ist die mangelnde Unterstützung durch lokale Behörden, die häufig über begrenzte finanzielle und personelle Ressourcen verfügen. Gut wäre die Förderung von Multi-Stakeholder Projekten unter Einbindung von Stadtverwaltung, Geldgebenden und Forschungsinstituten; hierzu bedarf es einer stärkeren Zusammenarbeit zwischen diesen verschiedenen Akteuren. Auch darum sind wir hier. Sorgezentren bieten eine visionäre Lösung für die Herausforderungen der Fürsorge und Pflege durch die Kombination von wohnortnaher Erreichbarkeit, demokratischer Selbstorganisation und der Nutzung bereits verfügbarer Räume. Der Erfolg solcher Zentren hängt jedoch stark von der Unterstützung und Zusammenarbeit verschiedenster gesellschaftlicher Akteure ab.