Friederike Habermann
Meine Oma, so sehr sie uns Enkel*innen auch verwöhnte, wusste, wie Schenken gegenüber anderen geht. »Ich brauche noch etwas für Frau Meyer. Für 5 D-Mark.« »??« »Soviel war ihr letztes Geschenk an mich wert.« Hätte ein Ethnologe ihr Verhalten untersucht, wäre die damals gängige Interpretation von Gaben bestätigt worden: nichts als zeitverzögerte Tauschgeschäfte.
Ohne Geld wird getauscht – das ist der Mythos. So sehr ist uns eingetrichtert worden, dass es ohne Geld nur primitive Tauschwirtschaft geben kann, dass wir uns anderes gar nicht mehr vorstellen können. Es ist umständlich, Lebensmittel gegen Schuhe einzutauschen, wenn der Schuster ein Messer braucht und auch der Schmied kein Gemüse, sondern lieber einen Pullover hätte undsoweiterundsofort: Dies lernte ich bereits im Vorschulalter durch eine Comicsendung, und bis heute wird es in Einführungen in die Wirtschaftswissenschaften wiederholt. Der Anthropologe David Graeber machte sich darüber lustig: »Welcher Mensch, der bei Verstand ist, würde an einem solchen Ort einen Lebensmittelladen eröffnen?«. Vor der (kolonial motivierten) Einführung von Geld hätten nirgends Individuen Güter innergesellschaftlich auf diese Weise getauscht, so Graeber in seiner Untersuchung über die Entstehung des Geldes Schulden. Die ersten 5000 Jahre. »Seit Jahrhunderten suchen Forscher mittlerweile nach diesem sagenhaften Land des Tauschhandels – alle ohne Erfolg«. Umgekehrt lasse sich feststellen: Es kam in unterschiedlichen Kulturen zu ganz unterschiedlichen Wirtschaftsformen. Nur Tausch im gemeinten ökonomischen Sinne als äquivalenter Tausch, bei dem offiziell gleiche Werte getauscht werden, kam nicht vor.
Doch auch Yanis Varoufakis wiederholt diese Vorstellung vom ursprünglichen Tausch mit Tauschlogik in seinem Buch Time for Change. Wie ich meiner Tochter die Wirtschaft erkläre: »Wenn einer unserer Vorfahren einem anderen eine Banane anbot und dafür einen Apfel wollte, war das eine Form des Austauschs; ein unvollkommener Markt, bei dem eine Banane den Preis für einen Apfel darstellte und umgekehrt«. Wo auch immer dieses Land mit Bananen und Äpfeln gelegen haben mag: Ein Markt (denn genau das ist Tausch mit Tauschlogik) wäre es eben nur in dem unwahrscheinlichen Fall, dass sowohl Apfel als auch Banane bereits denselben Tauschwert innegehabt hätten. Ansonsten bräche einer von beiden – vielleicht der mit der Banane – seine Frucht in zwei Teile. Und würde hinzufügen: »Ob ich den anderen Teil selbst esse oder in den Dreck schmeiße, geht Dich nichts an, denn Dein Apfel ist weniger wert als meine Banane«.
Und selbst wenn der mit der Banane so viele davon hätte, dass diese ihm bereits wegfaulen, würde er keine davon abgeben, wenn der andere keinen Apfel oder etwas anderes zu bieten hat. Und dieser andere damit im Zweifel verhungern. Das ist Tauschlogik. Tauschlogik – und damit jeder Markt – erzeugt künstlich Knappheit. Unseren Vorfahren wäre das absurd erschienen. Uns nicht. Weil wir es normal finden, dass Lebensmittel dorthin gehen, wo das Geld ist, hungert eine Milliarde Menschen und ist eine weitere Milliarde unterernährt – während im Globalen Norden die eigentlich für alle ausreichenden Lebensmittel weggeschmissen werden. Marktwirtschaft tötet. Alltäglich Zigtausende. Zwar gab es schon immer vereinzelt Hungersnöte aufgrund von Dürre oder anderen Ereignissen, aber Hunger als Dauerzustand kam durch Marktwirtschaft in die Welt. Und klar: auch durch koloniale Machtverhältnisse, die Mehrwertausbeutung, Lebensmittelspekulation etc. Aber all dies braucht es gar nicht dafür. Tauschlogik reicht.
Doch unsere Phantasie dürfen wir nicht länger durch das Märchen vom Tauschen beschränken lassen. Sonst werden wir keine befreite Gesellschaft erreichen können. Wir werden auch die ökologische Katastrophe nicht vermeiden können.
Zumal wir stattdessen so haben könnten, dass alle gut leben können. Statt die Marktallokation entscheiden zu lassen, könnten wir Bedürfnisse basisdemokratisch befriedigen. Statt arbeiten zu müssen, könnten wir die Vielfalt unserer Leidenschaft, in dieser Welt zu wirken, verwirklichen. Und statt dem Produktivitätszwang hinterher zu hechten, könnten wir für das Leben sorgen.